Zum Tod eines unbeirrt Eigensinnigen

Rolf Hochhuth ist tot. Er war ein unbequemer, widerspruchsvoller Geist. Seit seinem großen Erfolg »Der Stellvertreter« widmete er sich für Jahrzehnte der Aufklärung von Naziverbrechen und der Benennung der Täter. Mit seiner 1978 erschienen Erzählung »Eine Liebe in Deutschland« löste er eine umfassende Debatte über negative Vergangenheitsbewältigung aus, die zum Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, führte. Der von Hochhuth als »Hitlers Marine-Richter« bezeichnete Filbinger hatte im März 1945 den Matrosen Walter Gröger wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Ein durch Filbinger gegen Hochhuth eingeleiteter Rechtsstreit, der mit großer Resonanz in der Öffentlichkeit und den Medien begleitet wurde, führte schließlich am 7. August 1978 zum Rücktritt des Ministerpräsidenten.

Das als »Filbinger-Affäre« bezeichnete Kapitel bundesdeutscher Vergangenheitsbewältigung ist ein Lehrstück von gleicher Qualität wie die Auseinandersetzungen um den »Stellvertreter«. Mit den einschlägigen Prozess- und Mediendokumenten versehen, kann man dies in dem Buch »In Sachen Filbinger gegen Hochhuth«[1] nachlesen. Eingeleitet wird dieses Buch mit einem im Mai 1978 geschriebenen Essay von Hans Mayer. Dieser stellt „das Grundprinzip allen Schreibens bei Hochhuth heraus: das Ernstnehmen individueller Lebensentscheidungen. Davon aber hatte man allzu lange in der Literatur absehen wollen.“[2] Hochhuth, so Mayer, möchte „demonstrieren, wie das aussieht: Handeln nach der jeweiligen Norm; ohne Mitleid und Furcht. Was heißen soll: ohne Mitleid mit den Mitmenschen, ohne Furcht vor sich selbst. So konnte einer, Hans Filbinger, wie Hochhuth meint, ein «furchtbarer» Jurist werden: mitten im Krieg, also im allgemeinen Töten.“[3]

Als studierter und promovierter Jurist stellt Mayer dann den „schrecklichen Rechtspositivismus des Satzes «Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein», dar. Und kommt anschließend zu den „politischen Irrtümern des Dr. Filbinger …. Eines Politikers der Irrtümer, doch des guten Gewissens“. [4]

Nachdem er seinen Essay mit Shakespeare begonnen hat schließt Mayer mit dem Verweis eines „deutschen Märchen“ schlechthin, mit Wilhelm Hauffs »Das kalte Herz«. Wer den Fall Filbinger neu lesen möchte sei verwiesen auf den spannenden wissenschaftlichen Doku-Roman von Jacqueline Roussety »Wenn das der Führer sähe…«[5]

[1] In Sachen Filbinger gegen Hochhuth – Die Geschichte einer Vergangenheitsbewältigung, herausgegeben von Rosemarie von Knesebeck, Reinbek bei Hamburg 1980
[2] A.a.O., S. 9
[3] ebenda
[4] A.a.O., S. 10f
[5] Jacqueline Roussety, Wenn das der Führer sähe… von der Hitlerjugend in die Fänge Filbingers, Hamburg 2016